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Calvaires

ADAC-Reiseführer Bretagne:

Enclos Paroissiaux

Die umfriedeten Pfarrbezirke der Bretagne stellen in der sakralen Kunst Europas ein einzigartiges Phänomen dar. Die überschwenglich ausgeschmückten Calvaires, zu deutsch Kalvarienberge, im Zentrum dieser Enclos Paroissiaux sind naives, ausdrucksstarkes künstlerisches Zeugnis einer tief empfundenen Religiosität und bäuerlich geprägter Fantasie.

Die Entstehung der Pfarrbezirke im 16. und frühen 17. Jh. und ihre Konzentration auf die ehemalige Grafschaft Léon im nördlichen Teil des Département Finistère erklärt sich durch den in dieser Region damals blühenden Tuchhandel, der selbst kleinen Dörfern Wohlstand bescherte. Über die Hafenstädte Morlaix und Landerneau führten die Weber ihre Leinenstoffe aus: nach Portugal, Spanien und vor allem nach England. Im Bemühen, den erlangten Reichtum sichtbar zu dokumentieren, entbrannte unter den Dörfern ein heftiger Konkurrenzkampf um den prächtigsten Pfarrbezirk.

Ein umfriedeter Pfarrbezirk besteht aus folgenden Elementen: dem Friedhof und dessen teilweise recht hoher steinerner Einfassung, einem Triumphtor, das in den Bezirk hineinführt, einem Beinhaus, dem Calvaire sowie der Kirche selbst mit ihrer im Süden vorgelagerten Eingangshalle. Der Pfarrbezirk stellt ein deutlich nach aussen abgegrenztes Ensemble von aufeinander abgestimmten Bauten dar, deren religiöser Mittelpunkt der Calvaire ist.

Die Calvaires sind teils einfache, teils komplexe Monumente auf viereckigen oder runden Steinsockeln, die mit umlaufenden Figurenfriesen geschmückt sind. Darüber erhebt sich der eigentliche Kalvarienberg mit der Darstellung des Kreuztodes Christi. Unter den Kreuzen bevölkern vollplastische Figuren die Plattform. Sogar auf den Kreuzbalken stehen Figuren. Sie sind aufgrund des harten Granisteins meist einfach gearbeitet.Ihre Mimik und die lebendige szenische Gestaltung tragen jedoch zu jener fantastischen Wirkung bei, die sie zu einer ausserordentlichen Erscheinung der Renaissance-Kunst machen.

Im Gegensatz zum Bereich des Friedhofs, in dem das Memento-Mori.Motiv, die Mahnung an den Tod, in vielfältiger Weise dargestellt wird, überrascht in den reich ausgestatteten, schmuckvollen und meist hellen Kirchen eine beinahe heiter Atmosphäre.

 

St-Thégonnec liegt gut 10 km von Morlaix entfernt und ist einer der reichsten und monumentalsten umfriedeten Pfarrbezirke der Region. Es wurde nach dem walisischen Mönch Thégonnec benannt. Durch ein wuchtiges Triumphtor von 1587 betritt man den Friedhof. Die Fassade des massiven Beinhauses aus dem 17.Jh. ist mit korinthischen Säulen besonders aufwändig gestaltet. Durch eine Treppe gelangt man zur Krypta hinunter, die eine holzgeschnitzte Grablegung aus dem 18. Jh. enthält. Der Calvaire von St-Thégonnec (1610) ist einfach und klar gegliedert. Mit ca. 40 miniaturhaften Figuren sind Prozessionsszenen dargestellt. Hoch darüber ragen drei Kreuze in den Himmel. Das Innere der Kirche Notre-Dame ist farbenprächtig und vermittelt eine heitere Atmoshäre. Die Ausstattung ist barock.  

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Der Pfarrbezirk von Guimiliau steht nur 8 km westlich von St-Tregonnéc entfernt, ist ebenfalls verschwenderisch ausgestattet und für den Reichtum seines Calvaires berühmt. Er stammt aus dem 15. Jh., 200 Figuren zieren ihn. Sie zeigen die Kindheitsgeschichte Jesu, letztes Abendmahl, Fußwaschung, Gefangennahme, Kreuztragung, Grablegung, Geißelung und Auferstehung. Eine prächtige Renaissance-Vorhalle führt in die Kirche St-Miliau, deren Schmuckstück das 1675 aus Eichenholz geschnitzte Taufbecken ist.

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Der dritte der drei großen Enclos Paroissiaux der Region - 3 km westlich von Guimiliau - und um einige Grade einfacher gestaltet, ist der Pfarrbezirk um die Kirche von Lampaul-Guimiliau. Der Calvaire aus dem 16. Jh. ist ausdrucksstark, aber fast schmucklos. Der Kirchturm verlor nach einem Blitzschlag 1809 die Spitze. Die Innenausstattung gehört zu den reichsten der Region. In der Kirche kann man zwei Holzaltäre und ein schönes achteckiges Taufbecken bewundern.

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